Die Schweiz steht vor einem historischen Wendepunkt in ihrer Energiepolitik. Nach jahrelangen Verhandlungen konnte Ende 2024 ein wegweisendes Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU erfolgreich abgeschlossen werden. Dieses Abkommen verspricht nicht nur eine deutliche Stärkung der Versorgungssicherheit, sondern positioniert die Schweiz auch als gleichberechtigten Partner im europäischen Strommarkt. Mit 41 Verbindungspunkten zu Nachbarländern fungiert die Schweiz bereits heute als zentrale Stromdrehscheibe Europas – das neue Stromabkommen mit der EU wird diese Rolle nun rechtlich absichern und ausbauen.
Der Bundesrat bestätigte Ende Dezember 2024 den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen zum Stromabkommen Schweiz EU. Nach Jahren komplexer Gespräche wurde ein umfassendes Paket verhandelt, das verschiedene Bereiche zwischen Schweiz und der EU abdeckt. Die rechtliche Absicherung der Einbindung in das EU-Stromsystem stellt einen Meilenstein in den bilateralen Beziehungen dar.
Der Vertragstext wurde im Juni 2025 veröffentlicht, während die parlamentarische Behandlung frühestens 2026 beginnen soll. Diese Zeitplanung ermöglicht eine gründliche öffentliche Debatte über die Auswirkungen des Stromabkommens auf die schweizer Energiezukunft.
Die Verhandlungen erfolgten parallel zu anderen wichtigen Dossiers und spiegeln das Bestreben beider Seiten wider, die Zusammenarbeit im Energiebereich auf eine solide rechtliche Grundlage zu stellen. Besonders die Fragen der Netzstabilität und des Stromhandels standen im Zentrum der Gespräche.
Mit 41 Verbindungspunkten zu Nachbarländern nimmt die Schweiz eine einzigartige Position als Stromdrehscheibe Europas ein. Diese physikalische und geografische Einbindung in das Stromsystem der Nachbarländer macht das Land zu einem unverzichtbaren Knotenpunkt im europäischen Verbundnetz.
Der Stern von Laufenburg fungiert als zentrales Umspannwerk für die europäische Stromversorgung und verdeutlicht die strategische Bedeutung der schweizer Netzinfrastruktur. Swissgrid, der nationale Übertragungsnetzbetreiber, steuert komplexe Stromflüsse zwischen der Schweiz und den europäischen Nachbaren und sorgt für die Stabilität des gesamten Systems.
Diese geografischen Vorteile bringen jedoch auch Verantwortung mit sich. Ungeplante Stromflüsse aus Nachbarländern können die Netzstabilität beeinträchtigen, weshalb eine enge Zusammenarbeit mit den EU-Partnern unerlässlich ist. Das Stromabkommen schafft hierfür die nötigen rechtlichen Rahmenbedingungen.
Das Stromabkommen bringt erhebliche Verbesserungen für die Versorgungssicherheit der Schweiz mit sich. Besonders in den kritischen Wintermonaten, wenn die Wasserkraft aufgrund geringerer Zuflüsse weniger Strom produziert, sind zuverlässige Importe entscheidend für die Grundversorgung.
Die Rechtssicherheit bei Winterimporten und die Absicherung der Grenzkapazitäten stellen Kernelemente des Abkommens dar. Mit einer garantierten Importfähigkeit von 8.000 Megawatt kann die Schweiz ihre Versorgung auch in schwierigen Zeiten sicherstellen – das entspricht mehr als dem sechsfachen der Leistung des grössten schweizer Kernkraftwerks.
Studien wie “Energiezukunft 2050” belegen die Vorteile einer engen Stromkooperation mit der EU. Die erhöhte Resilienz und Diversifizierung der Energieversorgung schaffen einen stabilen Rahmen für die schweizer Energiewende.
Der schnellere Ausgleich von Schwankungen und Ausfällen im Stromnetz wird durch die Integration in europäische Plattformen ermöglicht. Parallel dazu bleiben inländische Massnahmen wie der Ausbau erneuerbarer Winterstromproduktion weiterhin nötig, um die Importabhängigkeit zu reduzieren.
Die kostengünstigere Nutzung europäischer Plattformen für Regelenergie wird zu erheblichen Einsparungen im Systemmanagement führen. Diese Vorteile kommen direkt den schweizer Verbrauchern zugute und stärken die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft.
Die vollständige Liberalisierung des schweizer Strommarkts steht noch aus, wird aber durch das Stromabkommen einen wichtigen Impuls erhalten. Zukünftig sollen alle Verbraucher die freie Wahl des Stromlieferanten haben oder in der Grundversorgung verbleiben können.
Flankierende Massnahmen zum Schutz der Verbraucher und des Service public sind integraler Bestandteil der Umsetzung. Faire und bezahlbare Preise für Haushalte und Unternehmen bleiben prioritär, auch bei vollständiger Marktöffnung.
Die Strommarktöffnung wird den Wettbewerb unter den Anbietern verstärken und Innovationen im Bereich der Energiedienstleistungen fördern. Verbraucher profitieren von grösserer Wahlfreiheit und potenziell günstigeren Tarifen.
Das Ende des Ausschlusses von wichtigen europäischen Strommarktgremien markiert einen wichtigen Schritt hin zu einer gleichberechtigten Partnerschaft. Die Schweiz erhält Zugang zu Marktplattformen und Handelsmärkten, was die Effizienz des Stromhandels erheblich steigert.
Die aktive Mitwirkung an Planung und Organisation des europäischen Strommarkts ermöglicht es der Schweiz, ihre Interessen direkt einzubringen. Diese Stärkung der Partnerschaft mit europäischen Nachbaren schafft Win-Win-situationen für alle Beteiligten.
Rund 250.000 Besitzer von Solaranlagen speisen bereits heute Strom ins Netz ein, was fast 95% aller Photovoltaikanlagen im Land betrifft. Das Stromabkommen könnte die bestehenden Regelungen zur Mindestpreisgarantie für Solarstrom beeinflussen.
Die mögliche Abschaffung der Mindesttarifgarantie durch EU-Verträge sorgt bei Betreibern von Solaranlagen für Unsicherheit. Der Bundesrat plant zudem die Streichung des 20%-Mindestanteils inländischer erneuerbarer Energie aus dem Stromgesetz, was weitreichende Folgen haben könnte.
BFE-direktor Benoît Revaz betont, dass die Mindestvergütung nur ohne andere Preisvereinbarungen zwischen Betreibern und Abnehmern gilt. Die Übernahmepflicht für Solarstrom bleibt weiterhin bestehen, auch nach Inkrafttreten des Stromabkommens.
Das neue Stromgesetz 2024, das mit 69% Zustimmung angenommen wurde, fördert den Ausbau erneuerbarer Energien erheblich. Ein Mindestangebot für Solarstrom bleibt möglich, ist aber nicht mehr obligatorisch – dies schafft mehr Flexibilität im Markt.
Die Balance zwischen marktwirtschaftlichen Prinzipien und dem Schutz von Investitionen in erneuerbare Energien wird eine zentrale Herausforderung bei der Umsetzung des Stromabkommens darstellen.
Die Schweiz verfügt über die weltweit höchste Stauseendichte und hat ihre Alpen in wichtige Energiespeicher für den europäischen Markt verwandelt. Diese Speicherkapazitäten sind entscheidend für die Versorgung von Nachbarländern wie Italien, Deutschland und Frankreich.
Pumpspeicherkraftwerke fungieren als wieder aufladbare Energiespeicher für Spitzenlastzeiten und tragen massgeblich zur Netzstabilität bei. Die schweizer Stauseen können überschüssige Energie aus erneuerbaren Quellen speichern und bei Bedarf wieder abgeben.
Viele Stauseen stehen vor dem Heimfall, bei dem die Konzessionen an die Gemeinden zurückfallen. Die Regelung bezüglich des Mitbietrechts europäischer Stromkonzerne bleibt dabei noch unklar und bedarf weiterer Klärung.
Wasserzinsen und historische Verträge bleiben laut Bundesfaktenblatt unangetastet. Eine zentrale Frage ist jedoch, inwieweit die EU-Regulierung den Wasserstand in schweizer Stauseen beeinflussen könnte.
Die Balance zwischen lokaler Kontrolle über Wasserressourcen und der Integration in den europäischen Markt wird eine der komplexesten Herausforderungen des Stromabkommens darstellen.
Seit 2023 bestimmt der Bundesrat Winterreserven in Stauseen, um die Versorgungssicherheit in kritischen Wintermonaten zu garantieren. Diese Massnahme gewinnt durch die zunehmende Volatilität erneuerbarer Energien an Bedeutung.
Die Energiewende verstärkt die Rolle der schweizer Speicherkapazitäten erheblich. Mit dem Ausbau von Wind- und Solarenergie in Europa steigt der Bedarf an flexiblen Speicherlösungen, die die Schweiz mit ihren Stauseen bieten kann.
Die Kombination aus Winterreserven und europäischee Marktintegration schafft neue Möglichkeiten für die schweizer Energiewirtschaft. Die Stauseen werden zu strategischen Assets im Kampf gegen den Klimawandel und für die Versorgungssicherheit.
Das Stromabkommen Schweiz EU markiert einen historischen Wendepunkt in der schweizer Energiepolitik. Nach jahrelangen Verhandlungen schafft das Abkommen die rechtlichen Grundlagen für eine vollständige Integration der Schweiz in den europäischen Strommarkt.
Die Vorteile sind vielfältig: verbesserte Versorgungssicherheit, insbesondere in den Winter, Stärkung der Netzstabilität durch technische Harmonisierung und mehr Wahlfreiheit für Verbraucher. Gleichzeitig bringt die Umsetzung Herausforderungen mit sich, von regulatorischen Anpassungen bis hin zu Fragen der nationalen Energieautonomie.
Mit der Veröffentlichung des Vertragstextes des geplanten Stormabkommens im Juni 2025 und der parlamentarischen Behandlung ab 2026 steht der Schweiz eine intensive öffentliche Debatte bevor. Die Entscheidung des Volks wird letztendlich darüber bestimmen, ob dieses historische Stromabkommen mit der EU tatsächlich in Kraft treten kann.
Die Schweiz steht an einem Scheideweg ihrer Energiezukunft. Das Stromabkommen bietet die Chance, die Position als zentrale Stromdrehscheibe Europas zu festigen und gleichzeitig die Transformation hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung zu beschleunigen. Die kommenden Monate werden zeigen, ob diese Vision zur Realität wird.